Kronen Zeitung - 13.10.2013

Erzwungene Erlösung



Fröhlich und kindlich waren die ersten beiden Teile von Ann Liv Youngs Performance Vierteiler "Sleeping Beauty". In den Teilen 3 und 4, die beim "steirischen herbst" im Grazer Next Liberty uraufgeführt wurden, erkunden sie und ihr Team nun die düsteren Seiten von Disneyland und rücken ihrem Publikum auf die Pelle.


Mikrofon statt Besen: Ann Liv Youngs Karaoke-Hexen heben ab


Was wären Märchen ohne eine böse Hexe? Sogar im kuscheligen Disney-Universum braucht es eine dunkle Seite, die Ann Liv Young in "Sleeping Beauty 3&4" heraufbeschwört. Die Karaoke-Hits sind düsterer als in den ersten beiden Teilen, die Show-Effekte kaum noch kindlich-charmant, sondern meist angsteinflößend. Und am wichtigsten: Young und ihr Team gehen noch direkter auf das Publikum zu.


Wer ihr Alter Ego, die forsche Therapeutin Sherry, vom "herbst" 2011 kennt, weiß nur allzu gut, dass man sich ihrer Eingriffe in die eigene Gefühlswelt kaum erwehren kann. Am Premierenabend kam Sherry zu einem Extra-Einsatz, nachdem ein Stromausfall im Next Liberty das geplante Finale der Show verhinderte. Ein Glücksfall eigentlich!
In Graz hat Young mit der düsteren Mary aber auch eine neue Figur eingeführt, die dem Publikum mit schauriger Stille begegnet. Beide Figuren dienen als Spiegel, den Young ihrem Publikum vorhält. Ihre fiktiven Figuren sind da, um ganz reale Blicke in die eigenen Abgründe zu ermöglichen. Das Ziel ist die Erlösung des Publikums - wenn nötig auch unter Zwang. Sich dabei unwohl, beschämt oder vorgeführt zu fühlen, muss man als Gast in ihrer Welt aushalten.

Christoph Hartner
wukonig.com