I prefer not to ... share!


„I prefer not to ... share!“ Ich ziehe es vor, nicht zu teilen. Wenn der steirische herbst mit seinem Leitmotiv 2014 Anleihen an Herman Melvilles Verweigerer Bartleby nimmt, dann weil wir zerrissen sind – zwischen dem Wissen, dass wir mehr teilen und gleichzeitig auf mehr verzichten müssen, wenn wir das Auseinanderdriften der Reichsten und Ärmsten auf diesem Planeten stoppen wollen. Wir wissen, dass wir selbst im Konkreten und Privaten umkehren müssen, unsere Konsumgewohnheiten, das Ausbildungs- und Karrieredenken für unsere Kinder einem ethischen Realitätscheck unterziehen müssen. Rund um die Diskussionen zu Privatisierungen, Verstaatlichungen, dem Allgemeingut und einer Open Society im weitesten Sinne stellt sich die entscheidende Frage: Bin ich überhaupt bereit zu teilen? Was und wie viel? Nur die Verluste? Auch die Gewinne? Und wenn ja, mit wem? In der Folge stellt sich die Frage, wie wir denn wirklich Gemeinschaft verstehen, welchen Gruppen wir uns zugehörig fühlen.

Das ist nicht nur eine persönliche Frage. Die Identitätskrise Europas, der Gruppe, der die meisten von uns angehören, ist unter zunehmend verschärften ökonomischen Bedingungen eskaliert, die das Teilen zum zentralen, politisch brisanten Thema werden ließen. Hier geht es um ökonomische Fragestellungen, um die Definition dessen, was Europa ausmacht, zusammenhält, was mit wem denn geteilt wird. Es geht um Inklusion und Exklusion, um permanente Grenzziehungen. Denn die geografische Karte Europas sieht anders aus als jene, die unter ökonomischen, sozialen Blickwinkeln erstellt wird. Von Europas Abgrenzung und zunehmender Abschottung vom Rest der Welt ganz zu schweigen. „I prefer not to share!“ mag da der Leitsatz jener sein, die einem erstarkten Nationalismus frönen – solange sie nicht zu den ökonomisch schwachen Mitgliedsstaaten gehören. Während aber Europa mit sich beschäftigt ist, entstehen jenseits der Abschottung ganz andere und neue Kartografien, die den kulturellen Eurozentrismus in seiner weltweiten Bedeutung redimensionert.

Und doch bestimmt Teilen unseren Alltag. Sharen heißt das in Zeiten von Social Media. In unserer virtuellen Verbundenheit mit der Welt sind wir permanent dazu angehalten zu teilen, was uns wichtig erscheint und zugleich definiert. Wer wenig teilt, verliert an Status. Wer gar nie teilt, macht sich verdächtig.
Das Nicht-Teilen ist im digitalen Heute nicht mehr vorgesehen. Doch: Wohin gehe ich heute, wenn ich nicht teilen will, wenn ich mich nicht mitteilen, nicht vernetzen will, wenn ich raus will aus der Großgemeinschaft vermeintlicher Freunde und Communitys? Wohin führt der Weg eines kategorischen „Lieber nicht“? Raus in den Wald, rein ins Gefängnis oder können wir nur im System verschwinden? Gibt es eine Individualisierung ohne Entsolidarisierung? Was muss passieren, dass wir ganz real etwas abgeben – selbst dann, wenn es wehtut?

Wie immer haben ambivalente Gedanken das Leitmotiv des steirischen herbst geprägt, waren Ausgangspunkt für den Dialog mit den Künstlern, Kuratoren und künstlerischen Partnern des Festivals und führten zu einem vielstimmigen Programm. Diese Gedanken durchziehen einmal offensichtlicher, dann wieder versteckter oder um die Ecke kommend den steirischen herbst 2014.

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